Der Evangelische Religionsunterricht an weiterführenden Schulen

2. Die Schülerinnen und Schüler als JugendlicheDie Frage nach den im Religionsunterricht zu erwerbenden Kompetenzen stellt dasLernen der Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt. Die Qualität desUnterrichts ist dabei nicht zuletzt davon abhängig, ob es gelingt, ihn auf die Lern-und Entwicklungsmöglichkeiten bzw. -bedürfnisse der Jugendlichen abzustimmen.Der Zugang, den sie zu Inhalten des Religionsunterrichts haben, ist immer auchentwicklungsbedingt: Jugendliche in der Sekundarstufe I befinden sich in derLebensphase von Pubertät und Adoleszenz. Sowohl die Beziehungen zu den Elternals auch die Religiosität der Kindheit erfahren tief greifende Veränderungen undmanchmal sogar Erschütterungen. Zugleich suchen die Jugendlichen neue Bin-dungen. Sie streben nach Unabhängigkeit und wollen sich doch an anderen orien-tieren. Ihre religiösen Vorstellungen sind auf die Erwartungen und Urteile der fürsie bedeutsamen anderen abgestimmt, und zumeist übernehmen die Jugendlichendas System der Bilder und Werte der Bezugsgruppe, der sie sich zugehörig fühlen.Sie wollen so sein und glauben wie die anderen. Besonders bei Mädchen spielt indiesem Zusammenhang die beste Freundin eine wichtige Rolle. Inhalte des Religionsunterrichts eignen sich die Schülerinnen und Schüler in dieserLebensphase im Zusammenhang dieser Ambivalenz von Unabhängigkeit und neuerBindung an. Auch die Beziehung zur Religionslehrerin bzw. zum Religionslehrerunterliegt dieser Spannung, und deren Glaubwürdigkeit ist stark davon abhängig,ob es ihnen gelingt, im Religionsunterricht die Lebensbedeutsamkeit der Inhalteund Kompetenzen zu erweisen. Damit kommen die lebensweltlichen Erfahrungen und Interessen der Schülerinnenund Schüler ins Spiel. Das im Religionsunterricht zu erwerbende Wissen gewinntfür sie nur Bedeutung, wenn die in den Inhalten – etwa einer biblischen Geschichteoder einem ethischen Thema – enthaltenen Erfahrungen sich mit ihren eigenenErfahrungen verbinden lassen. Die Lebensbedeutsamkeit eines Inhalts oder Themaszeigt sich besonders für Jugendliche immer daran, ob sie ihnen helfen, eigeneFragen mit religiöser Dimension zu bearbeiten, in bestimmten Situationen in einerreligiös pluralen Gesellschaft zu handeln und die eigene Religiosität bzw. eigeneHandlungsperspektiven zu klären. Kompetenzen und Standards erweisen sich fürden Lernprozess der Schülerinnen und Schüler als fruchtbar, wenn sich alltäglicheoder herausgehobene Situationen in ihrer Lebenswelt besser bewältigen lassen.Auch wenn der Sinn von Religion und Religionsunterricht keineswegs in derBewältigung von aktuellen Anforderungssituationen aufgeht, sollten Religions-lehrerinnen und Religionslehrer deshalb schon bei der Unterrichtsvorbereitungimmer wieder Situationen identifizieren, die einen existenziell bedeutsamenHorizont aufweisen und in denen die Wahrheitsfrage für Jugendliche in derSekundarstufe I relevant werden kann.